Germar Rudolf

Grundlagen zur Zeitgeschichte

In seinem Buch Grundlagen zur Zeitgeschichte hat Germar Rudolf unter dem Pseudonym "Ernst Gauss" einige "Wahrheitssucher" aufgeboten (darunter Johannes Peter Ney mit einem Aufsatz über das angeblich gefälschte Wannsee-Protokoll und mehrmals sich selbst unter wechselnden Namen), die anscheinend allesamt angetreten sind, um - unfreiwillig - den Nachweis zu führen, dass "Revisionismus" und intellektuelle Redlichkeit sich gegenseitig ausschließen.

Sehen wir uns Germar Rudolfs Anmerkungen zu dem Buch Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas an. In diesem Buch gibt es ein Kapitel, in dem verschiedene Tarnbegriffe der Nationalsozialisten entschlüsselt werden. Der Begriff "Sonderbehandlung", erklären die Autoren, wurde von den Nazis beispielsweise benutzt, um ihre Morde zu vertuschen. Germar Rudolf hat Einwände:

Nun mag es tatsächlich sein, daß in vielen Fällen Begriffe wie Sonderbehandlung nachweislich zur Umschreibung für eine Exekution standen. Es ist andererseits aber auch richtig, daß dies nicht immer der Fall war. Vielmehr konnte der Begriff viele Maßnahmen umfassen, wie zum Beispiel Desinfektions- und Quarantänemaßnahmen, Strafen oder Begünstigungen aller Art u.v.a.m. Man kann also unmöglich aus einer Anzahl nachgewiesener Fälle auf all' jene Fälle schließen, die bisher nicht nachweisbar geklärt worden sind.

G. Rudolf, Grundlagen

Germar Rudolf behauptet also:

  1. In vielen Fällen sei mit "Sonderbehandlung" etwas andereres als Mord gemeint gewesen
  2. Es gebe ungeklärte Fälle für die Benutzung des Begriffs "Sonderbehandlung"

Die erste Behauptung - die in wenigen, nicht in vielen Fällen zutrifft - bezieht sich möglicherweise auf den Text Die ZEIT lügt, in dem Germar Rudolf sich große Mühe gegeben hat, einige Textstellen aus den IMT-Protokollen misszuverstehen.

Sicher ist dies aber nicht. An dieser Stelle hier bietet Germar Rudolf jedenfalls nicht den geringsten Beweis für seine Behauptungen an. Er benennt kein Dokument, das unklar wäre oder aus dem hervorginge, dass mit "Sonderbehandlung" etwas anderes als Mord gemeint gewesen wäre.

Genauer gesagt, bietet er in diesem Zusammenhang überhaupt keine Dokumente an.

Im bereits erwähnten Buch Massentötungen durch Giftgas entdeckt man dagegen eine ganze Reihe von Dokumenten, in denen das Wort "Sonderbehandlung" eindeutig mit der Ermordung von Menschen in Verbindung gebracht wird. Diese Dokumente müssen Germar Rudolf bekannt sein, denn er spricht ja über dieses Buch, und man darf wohl erwarten, dass er es vorher gelesen hat.

Da er keine eigenen Dokumente anbietet, die dem widersprechen, was in "Massentötungen" herausgearbeitet wird, können wir sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Alle Dokumente, die bis zu diesem Punkt bekannt sind, beweisen, dass "Sonderbehandlung" mit "Mord" gleichgesetzt wurde; aus keinem einzigen bisher angesprochenen Dokument geht etwas anderes hervor.

Was macht Germar Rudolf in dieser Situation?

Er wird frech. Allen bisher vorliegenden Beweisen zum Trotz behauptet er, die Herausgeber von "Massentötungen" hätten ohne sachliche Grundlage das Wort "Sonderbehandlung" mit "Töten" gleichgesetzt:

Genau dies ist auch die Interpretation der heutigen Historiker, die im Buch von E. Kogon, H. Langbein und A. Rückerl ihre stilistische Blüte trieb, als dort der Leser im Abschnitt 'Enttarnung der verschlüsselten Begriffe' darüber aufgeklärt wird, daß er die Dokumente nur dann verstehen könne, wenn er in ihnen nicht das lese, was in ihnen steht.

G. Rudolf, Grundlagen

Es ist kein Zufall, dass Germar Rudolf auch diese Behauptung nicht mit Zitaten und Dokumenten belegt. Seine Behauptung ist nämlich eine ausgesprochen "revisionistische", also glatt gelogen. In Wirklichkeit ist es Herr Rudolf, der phantasiert und sich offenbar anmaßt, mit überhaupt keinem Dokument und unwahren Behauptungen Historiker anzugreifen, die ihre Aussagen mit Dokumenten abgesichert haben.

Mit Dokumenten übrigens, deren Existenz oder Inhalt Germar Rudolf ignoriert oder sogar bestreitet, obwohl er sie in dem Buch, das er zu besprechen vorgibt, direkt vor der Nase hat.

Kogon, Langbein und Rückerl halten die Leser keineswegs dazu an, aus den Dokumenten etwas herauszulesen, das nicht in ihnen steht. Vielmehr legen die Autoren den Lesern aufschlussreiche und überzeugende Zitate vor und zeigen auf, dass man genau das lesen muss, was dort steht - dass nämlich "Sonderbehandlung" in allen diesen Fällen mit Mord gleichgesetzt wurde.

Ein Beispiel unter vielen ist diese Anweisung von Himmler:

(4) In besonders schweren Fällen ist beim Reichssicherheitshauptamt Sonderbehandlung unter Angabe der Personalien und des genauen Tatbestandes zu beantragen.
(5) Die Sonderbehandlung erfolgt durch Strang.

Massentötungen, S. 17, Dokument 3040-PS

Germar Rudolf ignoriert dieses Dokument genau wie alle anderen und behauptet, es gäbe keine Beweise für die Tarnsprache der Nazis:

Es sei denn, man findet echte Dokumente, in denen Anweisungen zur Verwendung einer Tarnsprache niedergelegt sind, also die exakte Definition der zu verwendenden Begriffe. Solch ein Dokument hat man aber bis heute nicht gefunden

G. Rudolf, Grundlagen

Der oben zitierte Befehl von Himmler zeigt, dass "Sonderbehandlung" mit Erhängen gleichgesetzt wurde. Dieses Dokument erfüllt Germar Rudolfs Forderung - und genau deshalb hat Germar Rudolf es ignoriert. Es gibt noch weitaus mehr. (vgl. "Tarnbegriff: Sonderbehandlung".)

Weiterhin zitieren die Autoren ein Dokument von Heydrich, in dem es heißt:

Zur Beseitigung aller Mißverständnisse teile ich folgendes mit:
(...)
4.) ... ist zu unterscheiden zwischen solchen, die auf dem bisher üblichen Wege erledigt werden können, und solchen, welche einer Sonderbehandlung zugeführt werden müssen. Im letzteren Falle handelt es sich um solche Sachverhalte, die hinsichtlich ihrer Verwerflichkeit, ihrer Gefährlichkeit oder ihrer propagandistischen Auswirkung geeignet sind, ohne Anschauung der Person durch rücksichtslosestes Vorgehen (nämlich durch Exekution) ausgemerzt zu werden ...

Kogon u.a., S. 16f, Dokument NO-2263

Auch in dieser Anweisung wird "Sonderbehandlung" mit Exekution gleichgesetzt. Damit liegen bereits zwei Dokumente vor, die Germar Rudolfs oben zitierte Anforderung erfüllen. Da Germar Rudolf das Buch Massentötungen bespricht, muss er diese Zitate gesehen haben.

Möglicherweise wird Germar Rudolf sich darauf zurückziehen wollen, dass er "echte Dokumente" gefordert habe. Doch falls er behaupten möchte, die zitierten Dokumente seien nicht echt, liegt die Beweispflicht bei ihm.

Er hat sich an diesem Nachweis noch nicht einmal versucht, sondern lieber gleich die Existenz der Dokumente unterschlagen.

Es kommt noch schlimmer. Wenige Zeilen danach schreibt Rudolf über die Untergebenen, die den Befehl bekamen, Gefangene einer "Sonderbehandlung" zu unterziehen:

Denn schließlich stellt sich die Frage, wodurch die Empfänger der Befehlsdokumente wissen konnten, wann sie dem Wortlaut des Befehls gehorchen mußten und wann sie ihm auf welche Weise zuwider handeln mußten, und all das in Anbetracht der Tatsache, daß befehlswidriges Verhalten im Dritten Reich u.U. sehr hart bestraft wurde. Diese eminent wichtige Frage wurde kürzlich von einem revisionistischen Autorenkollektiv provokativ gestellt, blieb aber wie alle anderen Sachfragen auch in der Erwiderung der Gegenseite völlig unbeachtet. Mit der Beantwortung dieser Frage aber steht und fällt die auf diesen wortlautwidrig uminterpretierten Dokumenten ruhende etablierte Geschichtsauffassung.

Rudolf, Grundlagen

Fangen wir mit dem letzten Satz an: Da ist nichts "wortlautwidrig" uminterpretiert worden. Wir haben es gerade schon gesehen: Wenn Himmler schreibt, die Sonderbehandlung habe durch den Strang zu erfolgen, dann meinte er, dass die betreffenden Personen umgebracht werden sollten.

Die Frage, wie die Befehlsempfänger wissen konnten, dass mit "Sonderbehandlung" in Wirklichkeit "Töten" gemeint war, wird in Massentötungen auf Seite 18 angesprochen:

Inwieweit war die tatsächliche Bedeutung des Wortes "Sonderbehandlung" innerhalb der SS und der Polizei bekannt? Im Laufe der Ermittlungs- und Strafverfahren wegen NS-Verbrechen sind zahlreiche Personen vernommen worden; es zeigte sich, daß in den mit einschlägigen Vorgängen befaßten Kreisen keine Zweifel darüber bestanden, was unter diesem Begriff zu verstehen war.

Massentötungen, S. 18

Das "revisionistische" Autorenkollektiv muss arm dran sein, wenn es darauf angewiesen ist, sich seine provokativen Fragen an die etablierte Geschichtswissenschaft bei der etablierten Geschichtswissenschaft auszuleihen.

Man mag Herrn Rudolf zugestehen, dass er mit der Antwort der Autoren nicht einverstanden ist - aber in diesem Fall hätte er die Autoren (über deren Buch er spricht) zitieren und begründen müssen, warum er anderer Meinung ist.

Das war ihm wohl zu anstrengend, und wahrscheinlich war ihm auch klar, dass er sowieso nicht viel einzuwenden hat, weil alle Fakten und Quellen gegen ihn sprechen.

Also verschweigt er seinen Lesern, dass dieser Punkt durchaus behandelt wird und tut so, als hätte jemand die "etablierte Geschichtsauffassung" mit einer ausgeliehenen Frage in Verlegenheit gebracht.

Im Zuge seiner "revisionistischen Wahrheitsfindung" hat Herr Rudolf auch gleich noch das in Massentötungen zitierte Dokument unter den Tisch fallen lassen, aus dem beispielhaft hervorgeht, wie die Frage zu beantworten ist:

"... Während des Krieges verstand die SS unter 'Sonderbehandlung' nur 'Tötung'. Ich bin sicher, daß höhere Offiziersdienstgrade das wußten. Ob der einfache SS-Mann das wußte, weiß ich nicht. Ich verstehe nach dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit unter 'Sonderbehandlung' nur Tötung und nichts anderes ..."

Massentötungen, S. 18
(Herv. von mir/JL)

Bei diesem Zeugen handelt es sich um den ehemaligen SS-Gruppenführer und höheren SS- und Polizeiführer Emil Mazuw. Und gleich noch einmal:

Sonderbehandlung war mit "liquidieren" gleichzusetzen. Ich habe auch keine Aufklärung über diesen Begriff in Neu-Sandez meinen Untergebenen geben brauchen. Er war allgemein bekannt ..."

Massentötungen, S. 19

Diese Aussage stammt vom SS-Obersturmführer Heinrich Hamann. Weiter unten liest man dann, dass der Begriff "Sonderbehandlung" im Frühjahr 1943 bereits so bekannt gewesen sei, dass er "nach Ansicht des Reichsführers-SS Himmler die Tarnfunktion nicht mehr erfüllen konnte." Im sogenannten Korherr-Bericht

mußte auf Weisung Himmlers das Wort "Sonderbehandlung" durch einen anderen Begriff ersetzt werden.

Massentötungen, S. 19

Auf der einen Seite sagen uns gestandene Historiker, überzeugende Dokumente und nicht zuletzt mehrere SS-Männer, dass unter "Sonderbehandlung" nichts anderes als das Töten von Menschen zu verstehen war.

Auf der anderen Seite steht Germar Rudolf und glaubt, er hätte irgendwo mal eine provokative Frage gehört.

Siehe auch:

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