Ekkehard Franke-Gricksch

So wurde Hitler finanziert

Einen wesentlichen Teil des Buchs So wurde Hitler finanziert (Verlag Diagnosen, Leonberg, 1983) nimmt der gefälschte "Warburg-Bericht" ein. Franke-Gricksch ergänzt diesen zentralen Teil durch die Beiträge weiterer Autoren, die sich um den Nachweis bemühen, das Dokument enthalte trotz aller Einwände einen wahren Kern.

Unter dem Titel "Was ist wahr im Fall Warburg?" (S. 146f) erklärt Walter Nelz, es gehe ihm um "die Schuldfrage des deutschen Volks" - und da wäre es doch ganz praktisch, wenn man das Hitlerregime ausländischen Gönnern anlasten könnte.

Nelz kritisiert Sondereggers Veröffentlichung "Finanzielle Weltgeschichte; das Dritte Reich im Dienste der internationalen Hochfinanz; Gemeinnutz geht vor Eigennutz?", denn Sonderegger habe Schoups ursprünglichen "Geldbronnen"-Text "ziemlich willkürlich referiert, mit einer starken antisemitischen Tendenz." In wesentlichen Punkten gibt es aber offenbar keine Differenzen, denn auch Nelz verkündet, Hitler habe für Regierungs- und Finanzkreise "die Rolle eines nützlichen Werkzeugs" gespielt.

Nach dem Krieg, führt Nelz aus, sei der Originaltext ins Deutsche übersetzt und in der Schweizerischen Landesbibliothek sowie im Schweizerischen Sozialarchiv deponiert worden. Die Übersetzung sei "eine bemerkenswerte Sache", die "gründlich untersucht zu werden verdient" (S. 149).

Was Nelz nicht erwähnt: Der Mann, der den Text 1947 in der Schweiz einreichte, war niemand anders als Sonderegger. Außerdem erklärt Antony Sutton in seinem Buch Wall Street And The Rise Of Hitler (Kapitel 10, Anmerkung 4), die werkgetreue Übertragung vom Niederländischen ins Deutsche werde von den drei Übersetzern ausdrücklich bestätigt: Dr. Walter Nelz, Wilhelm Peter, und Rene Sonderegger. Über diese etwas eigenartige Gemengelage verliert Nelz kein Wort.

Ein Argument dafür, dass der Warburg-Bericht echt sei, ist nach Nelz die

unbestrittene Tatsache, daß der Text der Warburg-Broschüre im Herbst 1933, also verhältnismäßig kurze Zeit nach Hitlers Machtübernahme in gedruckter Form feststand.

(Franke-Gricksch, S. 153)

Nelz kennt den Aufsatz "Fälschungen zur Auslandsfinanzierung Hitlers" von Hermann Lutz (s.u.) und weiß deshalb, dass der angebliche Übersetzer Schoup, der den Text beim Verlag einreichte, schon einmal wegen Betruges verurteilt worden war.

Mal angenommen, ein Betrüger hätte mit sensationellen, aber erfundenen Informationen über Hitler Geld verdienen wollen - welchen Zeitpunkt hätte er wohl gewählt? Eben diesen Zeitpunkt, der daher ebenso gut auch für eine Fälschung spricht.

Im Anschluss vollführt Nelz einen recht eigenartigen Bocksprung. Er spricht zunächst die im "Warburg-Bericht" enthaltene unrichtige Behauptung an, Hitler sei am 30. Januar 1933 nicht sofort Reichskanzler geworden, was aber "in Europa jedes größere Kind" gewusst habe, und fährt fort:

Es ist undenkbar, dass ein bewusster Fälscher, der sich im übrigen durch manch kluge Bemerkung als äußerst kluger Kopf erweist, sich derartige Blößen gegeben hätte (...)

Also handelt es sich nach Nelz' Ansicht wohl um einen echten Autor, der kluge Bemerkungen gemacht und sich dennoch die erwähnte Blöße gegeben hat.

Nelz meint hier wohl: Fälscher machen keine dummen Fehler, wahrhaftige Autoren dagegen schon. Dass er sich vermutlich selbst für äußerst wahrhaftig hält, möchte man ihm vor diesem Hintergrund kaum abstreiten.

Als Nächstes nimmt Nelz den Verlag in die Pflicht - er sei alt und angesehen und würde doch auf keinen Fall "auf irgendeinen Winkelliteraten und primitive Fälschungen" hereinfallen (S. 154). Das Argument wäre hier wohl in etwa: Der Verlag hat das Buch gedruckt, also muss es echt sein. Das ist ein interessanter Gedanke: Ein Buch beweist die Glaubwürdigkeit seines Inhalts allein schon durch seine Existenz.

Ausgerechnet den Verlag, der die Fälschung erkannt und das Buch eingestampft hat, will Nelz als Zeugen dafür aufbieten, dass der Text eben doch echt sei. Was aber könnte den Verlag bewogen haben, ein Buch zurückzuziehen, das er angeblich - laut Nelz - doch für echt hielt? Nelz weiß keinen Grund dafür und spricht diese Frage nicht einmal an; es sei denn, man hält seine dunklen Andeutungen, der Text sei aufgrund einer "Kette von Manipulationen" unterdrückt worden, für ein stichhaltiges Argument.

Auf ähnlichem Niveau bewegen sich auch die anderen Überlegungen, die Nelz für die Echtheit des Warburg-Berichts vorbringt.

So behauptet er beispielsweise, es wäre doch am einfachsten gewesen, wenn James P. Warburg und der Verlag den angeblichen Übersetzer Schoup verklagt hätten. Ein Urteil hätte alles klargestellt, die Klage sei aber seltsamerweise unterblieben.

Im Grunde sagt Nelz hier: James P. Warburg hat zwar dementiert und später eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass er mit dem Text nichts zu tun habe, aber das glauben wir ihm nicht, denn die Tatsache, dass Warburg den Betrüger nicht verklagt hat, hebt das alles wieder auf, und Warburg müsse wohl einen Meineid geleistet haben. Das formuliert Nelz zwar nicht ausdrücklich, anders ist sein Einwand aber kaum zu verstehen.

Wie hat sich die Lage eigentlich damals aus Warburgs Sicht dargestellt? Er hat von der Fälschung erfahren und den Amsterdamer Verlag benachrichtigt. Der Verlag hat sofort eingelenkt und das Buch zurückgezogen. Damit war die Sache aus Warburgs Sicht erledigt, und mit einer Klage hätte er nicht mehr erreichen können als das, was ohnehin schon geschehen war. Er hatte es auch nicht nötig, sich mit einer Klage zusätzlich Glaubwürdigkeit zu verschaffen, denn er hatte sich ja dem Verlag und dem Fälscher gegenüber durchgesetzt und konnte nicht ahnen, dass Nelz Jahrzehnte später diese Kritik formulieren würde.

Das englische Original wurde, wie zwischen Schoup und Verlag vertraglich vereinbart, nach Drucklegung der Übersetzung vernichtet. Daran knüpft Nelz die Überlegung (S. 155), die Vernichtung des Beweismaterials sei

doch nur sinnvoll, wenn die Sache echt ist. Wenn es sich aber um Fälschung handelt, verhindert man durch diese Maßnahme ja gerade die Aufdeckung der Fälschung. Diese Maßnahmen liegen also gar nicht im Interesse jener, die die Fälschung behaupten.

Das ist richtig - wenn man das Ausgangsmaterial vernichtet, wird es schwerer, die Fälschung nachzuweisen.

Wer war es denn eigentlich, der die Vernichtung der englischen Vorlage vertraglich festgelegt hat? Der Verlag? Keineswegs. Es war der Betrüger Schoup.

Der fingierte Schriftwechsel mit Warburg wurde dagegen erst nach der Besetzung der Niederlande auf Anordnung der deutschen Besatzer vernichtet. Will Nelz den Nazis etwa unterstellen, sie und Warburg hätten ein gemeinsames Interesse gehabt, nämlich einen echten Text zu unterdrücken? Es ist möglich, dass er dies meint, aber auch dies spricht Nelz nicht aus.

Gegenprobe: Wie hätten die Nazis auf einen gefälschten Text reagiert, in dem Hitler ein inniger Kontakt zu Geldgebern aus feindlichen Nationen nachgesagt wird? Hätten sie die Sache auf sich beruhen lassen, weil es ja sowieso nur eine Fälschung war? Sicher nicht. Sie hätten das Dokument als feindliche Propaganda betrachtet und aus dem Verkehr gezogen, und dem Autor Schoup wäre es vermutlich nicht sehr gut ergangen.

Nelz stellt dieses plausible Szenario auf den Kopf. Er bezieht sich auf Lutz' Arbeit, die Schoups Ermordung im Jahre 1944 erwähnt, und folgert einigermaßen gewunden: "(...) aber er wurde, wie Lutz vermutet, weil er wußte (also ist es keine Fälschung), beseitigt".

Bei Lutz klingt die Sache etwas anders. Lutz erfuhr von Schoups Sohn, dass der Vater getötet worden sei, äußerte die Vermutung, die Nazis seien verantwortlich gewesen, und bekam keine Antwort. Daraus zu folgern, Schoup sei ermordet worden, weil er etwas wusste, ist abenteuerlich. Wir kennen die Gründe einfach nicht. Eine Ermordung durch die Nazis wäre aber, wie schon gesagt, auch dann plausibel, wenn sie den Text für eine Fälschung gehalten haben.

Auf Seite 156 wechselt Nelz von der realen Welt endgültig ins Reich des Fiktiven und bewertet Schoups Behauptung, eigenes Wissen unter dem Deckmantel einer Übersetzung verkauft zu haben, folgendermaßen:

Dies ist keineswegs das Geständnis einer Fälschung. Die literarische Form tut nichts zur Sache.

Schließlich räumt Nelz auch den größten Mangel ein, unter dem er und alle anderen leiden, die den Warburg-Bericht für echt halten: "Dokumentarische Belege sind nicht vorhanden" (S. 164). Daher bleibt Autoren wie ihm nichts anderes übrig, als die Echtheit des Warburg-Berichts mit diesem selbst zu beweisen, was naturgemäß scheitern muss.

Der angebliche Transfer von 32 Millionen Dollar aus den USA nach Deutschland muss jedoch Spuren hinterlassen haben, denn wenn das Geld Hitler nützen sollte, musste er es wieder ausgeben; und diese Ausgaben und der notwendige Währungsumtausch wären nicht unbemerkt geblieben. Im "Warburg-Bericht" werden recht konkrete Angaben gemacht und sogar Bankhäuser genannt. Was sagen denn deren Akten? Offenbar hat noch niemand dort nachgefragt.

Einen weiteren Beleg (Seite 159) findet Nelz in den Goebbels-Tagebüchern am 13.2.1933: "Jetzt ist auch unsere Wahlkasse in Ordnung."

Nelz muss wohl die Eintragung des folgenden Tages übersehen haben, denn am 14. Februar liest man dort: "Hanke teilt mit, daß für Wahlkampf kein Geld zu erwarten steht."

Am 20. Februar schreibt Goebbels wiederum:

Wir treiben (nicht 'trieben') für die Wahl eine ganz große Summe auf, die uns mit einem Schlag aller Geldsorgen enthebt.

Der Einschub in Klammern ist von Nelz, der prompt folgert, man könne diese Bemerkung auf die bevorstehende Ankunft Warburgs beziehen, nur um gleich darauf einzuschränken, Goebbels habe vielleicht doch etwas ganz anderes gemeint.

Tatsächlich fand am 20.2.1933 eine Veranstaltung statt, auf der die Nazis rund drei Millionen Reichsmark für ihren Wahlkampf einsammeln konnten. Hitlers und Görings Ansprachen vor Industriellen an diesem Tag sind gut dokumentiert. Es ist erstaunlich, dass Nelz seine nicht durch Quellen abgesicherte Vermutung, möglicherweise sei ein Treffen mit Warburg gemeint gewesen, gleichberechtigt neben diese dokumentarischen Beweise stellt.

Vergeblich sucht man bei Nelz auch eine Erklärung, wer denn nun dieser Warburg gewesen sein soll, der angeblich dreimal mit Hitler zusammentraf. Sidney Warburg kann es nicht gewesen sein, denn er hat nicht existiert. James P. Warburg hat entschieden dementiert und konnte für das Datum des angeblichen dritten Treffens sogar umgekehrt belegen, dass er sich definitiv in den USA aufgehalten hat.

Die John F. Kennedy Library dürfte nicht die einzige Institution sein, die Material über die Warburg-Familie besitzt. Es müsste doch möglich sein, anhand dieses Materials und anderer Quellen festzustellen, ob statt James Warburg ein anderes Familienmitglied mehrwöchige Reisen nach Deutschland unternommen hat, oder zumindest diejenigen auszuschließen, die für solche Reisen nicht infrage kommen.

Die "Wahrheitssucher" legen aber anscheinend keinen großen Wert darauf, das durchaus verfügbare Material zu sichten, sondern beschränken sich auf das Ungefähre:

Es ist möglich, dass es sich nicht um James P. Warburg, sondern um einen andern handelt. Es ist möglich, daß bewußt einige falsche Personen und Ereignisse genannt wurden, um jederzeit den Ausweg der Flucht in die "Fälschung" mit einigem Schein von Recht benützen zu können. Die Frage der Autorenschaft ist untergeordnet. Es geht um den Inhalt.

Nelz in Franke-Gricksch, S. 165

Die Frage der Autorenschaft ist keineswegs untergeordnet. Nelz verschweigt die bei Lutz nachzulesenden Tatsachen, dass Schoup, der den Text beim Amsterdamer Verlag eingereicht hat, ein überführter Betrüger war und abermals die Unwahrheit gesagt hat, als er sein angebliches Wissen unter dem Schleier der Übersetzung einer englischsprachigen Vorlage ausgab.

Außerdem ist unstrittig, dass Schoup den Briefwechsel mit dem nicht existierenden "Sidney Warburg" in New York gefälscht hat. Er gab zu, den "Warburg-Bericht" selbst geschrieben zu haben, und die angeblichen Briefe von "Sidney Warburg" waren tatsächlich in der gleichen Handschrift verfasst.

Da die angeblichen Begleitbriefe Schoups Erfindungen waren, spricht vieles dafür, dass auch das Dokument selbst eine Fälschung war. Nelz erwähnt den Briefwechsel, verschweigt seinen Lesern aber, dass Schoup die Fälschung der Briefe eingestanden hat. Auch die Tatsache, dass der nicht existierende "Sidney Warburg" die Briefe unterschrieben hat, scheint Nelz nicht zu interessieren.

Wie Nelz zugibt, enthält der "Warburg-Bericht" zudem eine Reihe von sachlichen Fehlern. Will man feststellen, welche Teile des Inhalts glaubwürdig sind und welche nicht, braucht man weitere Belege - und wenn man die hat, braucht man wiederum den "Warburg-Bericht" nicht mehr.

Mag sein, dass es irgendwo noch unerschlossene, unabhängige Quellen gibt; aber wenn dem so ist, dann kennen Franke-Gricksch und Nelz sie jedenfalls nicht und suchen offenbar auch nicht danach, denn sie schöpfen noch nicht einmal das jetzt schon vorhandene Material gänzlich aus oder geben es gar entstellt und lückenhaft wieder.

Übersicht:

Quellen:

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