Jan van Helsing (Jan Udo Holey)

Geheimgesellschaften 1

Ist Jan van Helsing ein Nazi? An dieser Frage entzünden sich oft hitzige Diskussionen, doch sie führt in eine Sackgasse. Es ist relativ unwichtig, was jemand in den Augen seiner Kritiker ist - ungefähr genauso unwichtig wie die Selbststilisierung eines unehrlichen Schreibers. Die Frage, was jemand sei, ist von persönlichen Bewertungen abhängig und wird von verschiedenen Leuten zwangsläufig unterschiedlich beantwortet.

Viel wichtiger ist die Frage, was ein Autor in seinem Buch tut, also welche Bewertungen er formuliert, welche Quellen er für glaubwürdig hält, wen er mit welcher Begründung kritisiert und angreift und wem er zustimmt. Wichtig ist, wie der Autor mittels seiner Argumentation die eigene Position selbst bestimmt - und diese Positionsbestimmung kann man im betreffenden Text sehr leicht nachvollziehen, ob dies nun vom Autor so gewollt ist oder nicht.

Van Helsing nimmt für sich in Anspruch, weder rechtsextremistische noch antisemitische Ideen zu verbreiten. In beiden Bänden der Geheimgesellschaften gelingt jedoch anhand zahlreicher Beispiele mühelos der Nachweis, dass dies reine Schutzbehauptungen sind, die nicht der Wahrheit entsprechen.

"Ihr habt den Teufel zum Vater"

Der hier zitierte Ausspruch aus Johannes 8, 44 erfreut sich bei Rechtsextremisten großer Beliebtheit. Van Helsing setzt diesen Ausspruch auf Seite 32 ein und kommentiert:

Überdies nannten die Juden ihren Gott nie Vater, sondern "JAHWE" und "EL SHADDAI". El Schaddai aber war der Scheitan, das hieß "der verworfene Engel"!

van Helsing, Geheimgesellschaften 1, S. 32
(alle Hervorh. van Helsing)

Damit wird gleich auf den ersten Seiten des Buches das gesamte Judentum zu einer satanistischen Sekte deklariert, die "Scheitan" in der Gestalt Jahwes anbetet. Van Helsing fügt an dieser Stelle keine Fußnote ein und verweist auf kein anderes Werk, es handelt sich hier also um seine eigene Deutung. Diese Definition gleich zu Anfang des Buches kann man nur als grundlegende Anweisung an die Leser verstehen, dass überall dort, wo später im Buch von Satanismus die Rede ist, dieser Kontext zu berücksichtigen sei.

Etwas später kommt van Helsing noch einmal auf diese Bibelstelle zurück. Nachdem er Johannes 8,30-45 zitiert hat, fährt er fort:

Viele Leute fragen heute noch so naiv: Warum ging Hitler denn gerade gegen die Juden vor? Ich hoffe, dass dies Ihnen die letzten Zeilen verdeutlicht haben.

van Helsing, Geheimgesellschaften 1, S. 106

Also tragen die Juden selbst die Schuld an der Verfolgung durch Hitlers Verbrecherbande - welcher alte oder neue Nazi würde das nicht freudig unterschreiben?

Van Helsing erklärt zwar, dies sei die Sichtweise der Nazis gewesen und es sei ein Fehler, das Judentum so einfach mit Satan in Verbindung zu bringen, doch im gleichen Atemzug spricht er schon wieder vom "jüdischen Bankensystem, sprich Rothschild und Genossen" und zeigt damit - wie schon oben angedeutet -, dass er sich die Denkweise und die Vorurteile der Nazis mindestens teilweise eben doch zu eigen macht.

Die Protokolle der Weisen von Zion

So lautet die Überschrift des Kapitels, in dem es um den berüchtigten gleichnamigen antisemitischen Text geht. Kurz und knapp gesagt, handelt es sich dabei um den vermeintlichen Plan einer jüdischen Verschwörergruppe, die es sich zum Ziel gesetzt habe, die Welt zu beherrschen und alle Nichtjuden in ihrem Sinne zu manipulieren und auszubeuten.

Der Text ist eine antisemitische Fälschung. Antisemitisch ist sie, weil mit diesem frei erfunden Plan den Juden finstere Absichten unterstellt werden.

Van Helsing distanziert sich scheinbar vom antisemitischen Charakter der Protokolle, wenn er schreibt:

Als Autor dieses Buches geht es mir weniger darum, ob es Rothschild und die Zionisten sind, die die Protokolle gegenwärtig anwenden, sondern hier geht es um das Anwendungsprinzip (...) Egal wer dahinter stehen mag, der Plan wird IM AUGENBLICK ANGEWENDET. Wie ich auch am Ende des Buches noch sehr intensiv darlegen werde, ist es nicht von Bedeutung, WER die Protokolle anwendet, sondern welches Prinzip dahintersteht und dass die BENUTZTEN es mit sich geschehen lassen!

van Helsing, Geheimgesellschaften 1, S. 49

Ganz so gleichgültig, wie van Helsing es behauptet, kann ihm die Identität der vermeintlichen Drahtzieher nicht sein, denn er betont auffällig oft, die Betreffenden wären Juden gewesen.

So erwähnt er beispielsweise "das jüdische Banken- und Logensystem", das unter der Führung der Rothschilds gestanden hätte, (S. 106), und auch in Zusammenhang "mit dem Juden MOSES MORDECHAI MARX LEVI (alias KARL MARX) und seinem Freund, FRIEDRICH ENGELS" (Geheimgesellschaften 1, S. 64) dürfen derartige Fingerzeige nicht fehlen.

Dabei fällt auf, dass Marx als Jude bezeichnet wird (Marx wurde als Sohn einer jüdischen Mutter geboren, jedoch mit knapp sechs Jahren getauft), während bei Engels, dessen Vater Pietist war, die Religion überhaupt nicht erwähnt wird. Dies ist eine typisch rechtsextremistische, antisemitische Argumentationsweise. Wo es Negatives zu berichten gilt, heben die Agitatoren den (nicht selten sogar willkürlich konstruierten) Zusammenhang zum Judentum hervor, während die Hinweise auf andere Religionen unterbleiben. Auf diese Weise wird das Judentum insgesamt belastet und negativ bewertet, ohne dass es ausdrücklich formuliert werden müsste.

Gelbmützen

Ein schönes Beispiel für van Helsings Unzuverlässigkeit im Umgang mit Fakten findet sich im Abschnitt "Adolf Schicklgruber und die Thule-Gesellschaft". Die Nazis und ihre geistigen Wegbereiter hätten intensive Kontakte zu okkulten Gruppen gepflegt, erfährt man dort.

Karl Haushofer knüpfte während des Ersten Weltkrieges Kontakte mit einer der einflussreichsten Geheimgesellschaften Asiens: den "GELBMÜTZEN". Diese wurden 1409 von dem buddhistischen Reformator Tsongkhapa gegründet. Haushofer wurde eingeweiht und schwor, wenn seine "Mission" misslingen sollte, Selbstmord zu begehen.

van Helsing, Geheimgesellschaften 1, S. 104

Die Gelbmützen sind keineswegs eine Geheimgesellschaft. Es gibt im tibetischen Buddhismus vier sogenannte "Linien". Das sind Schulen, die mit unterschiedlichen Meditationstechniken arbeiten. Eine dieser Linien ist die der Gelbmützen (Gelugpa).

Van Helsing entwickelt hier eine gewisse unfreiwillige Komik. Auf Seite 109 erwähnt er Aussagen "des Dalai Lama persönlich", auf Seite 110 erklärt er, der Dalai Lama habe behauptet, die Erde sei hohl. Van Helsing beruft sich also auf Aussagen des Dalai Lama und erweckt den Eindruck, er sei über die Verschwörung der Gelbmützen, den tibetischen Buddhismus und die Worte seines Oberhaupts gut informiert.

Dalai Lama
Dalai Lama

Nun muss man aber wissen, dass an der Spitze jeder der bereits erwähnten Linien ein so genannter "Linienhalter" steht, der die Tradition der Linie hüten soll. Einer der vier Linienhalter ist das geistliche und religiöse Oberhaupt der Linie der Gelugpas und das weltliche Oberhaupt der Tibeter - und dies ist niemand anders als der 14. Dalai Lama, der seit 1939 im Amt ist und dem 1989 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand die Gelbmützen als Geheimgesellschaft bezeichnet, ein paar Seiten später über ihr Oberhaupt spricht und an beiden Stellen unerwähnt lässt, dass es sich bei diesem Oberhaupt um den derzeitigen Dalai Lama handelt. Ich ziehe daraus den Schluss, dass van Helsing das nicht gewusst hat und werte dies als Indiz dafür, dass van Helsings Buch bemerkenswert schlecht recherchiert ist.

Eine ganz besondere Blüte treibt van Helsings Phantasie ein paar Seiten später, wenn er behauptet, der erwähnte Karl Haushofer habe, "wie den GELBMÜTZEN geschworen, 'Hara Kiri' begangen". Selbstmord durch Harakiri ist nun allerdings ein Ritual japanischer Samurai, das mit dem tibetischen Buddhismus nichts zu tun hat, und in der Tat heißt es beim DHM:

1946 10. März: Von der ausländischen Presse für die nationalsozialistische Expansionspolitik mitverantwortlich gemacht, nimmt Karl Haushofer sich gemeinsam mit seiner Frau auf dem "Hartschimmelhof" (Bayern) das Leben.

Das Ehepaar vergiftete sich mit Arsen.

Man darf hier mindestens den Verdacht äußern, dass viele der (häufig nicht einmal belegten) Aussagen in van Helsings Buch ähnlich unzuverlässig sind.

Die Quellen

Eine scheinbar unmissverständliche Positionsbestimmung nimmt van Helsing auf Seite 214 vor. Er zeigt sich schockiert über das Treiben von Nazi-Anhängern wie Michael Kühnen und Gary Rex Lauck und scheint alles zu bekräftigen, was er über seine Distanz zu Rechtsextremisten behauptet hat.

Doch nur wenige Seiten später beruft er sich schon wieder auf die Zeitschrift Spotlight, die er ein paar Seiten vorher (S. 200) zusammen mit dem EAP-Blatt Neue Solidarität als "einigermaßen unabhängige Zeitungen" vorgestellt hat. Einige Male nennt er auch "EIRNA-Studien" als Quellen.

Spotlight ist das Organ der rassistischen und antisemitischen Liberty Lobby, die Neue Solidarität gehört zur Europäischen Arbeiterpartei (EAP) von Lyndon LaRouche. EIRNA ist Lyndon Larouches Nachrichtenagentur, die auch als "EIR Nachrichtenagentur Wiesbaden" firmiert.

Die Distanzierung von Rechtsextremismus und Antisemitismus ist vor diesem Hintergrund als bloßes Lippenbekenntnis zu bewerten. Van Helsing benutzt zahlreiche Quellen, die von rechtsextremen Verlagen und Autoren stammen. Die folgende stichwortartige (und unvollständige) Übersicht bietet einen gewissen Einblick, was van Helsing unter brauchbarer Literatur versteht.

Siehe auch:

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