Der Überfall auf den Sender Gleiwitz

Heydrichs "Meisterstück"

Sender Gleiwitz
Reichssender Gleiwitz

Am Abend des 31.8.1939 überfiel der SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks zusammen mit fünf oder sechs in Zivil gekleideten SS-Leuten den Sender Gleiwitz.[1] Das laufende Programm wurde unterbrochen, über den Sender wurde ein Aufstand der polnischen Minderheit ausgerufen. Ein Toter, als "Konserve" bezeichnet, wurde als "Beweis" für den angeblichen polnischen Überfall in der Sendeanlage deponiert, nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei.

Dieser fingierte Überfall sollte neben anderen, auf ähnliche Weise inszenierten Übergriffen Hitler den Anlass zum Krieg gegen Polen liefern. Er hatte schon einige Tage vorher auf dem Obersalzberg gesagt:


Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.

Adolf Hitler am 22. August 1939
zit. n. August '39, S. 21; auch PS-1014

Den Auftrag, die entsprechenden Aktionen zu organisieren, bekommt Reinhard Heydrich.

Bei seiner ersten Informationsbesprechung erklärt er in Oppeln dem dortigen Leiter der Gestapo: "Der Führer braucht einen Kriegsgrund." Und Heydrich will ein geheimdienstliches "Meisterstück" liefern, "das aller Welt einwandfrei bewies, dass Polen diesen Krieg begann".

August '39, S. 14

In der Fechtschule Bernau werden SS-Männer einquartiert und

nach polnischem Reglement instruiert, üben polnische Grußformen und Lieder. Ein Teil von ihnen erhält den kurzen militärischen Haarschnitt und muss sich entsprechend dem angeblichen Aussehen polnischer Soldaten Bärte und Koteletten lang wachsen lassen ... Sie sprechen untereinander von einem "Himmelfahrtskommando" in Polen.

August '39, S. 15

Am Abend des 31. August 1939 kam der Befehl zum Losschlagen. Naujocks drang mit seinen Männern ins Gebäude des Senders ein.

Naujocks: "Wir haben im Senderaum kurz mit Pistolen geschossen. Wir haben ein paar Warnschüsse in die Decke gegeben, um ein bisschen Krawall zu machen und die Leute einzuschüchtern."
(...)
Das Kommando Naujocks weiß aber nicht, dass der Sender Gleiwitz kein eigenes Programm ausstrahlt, sondern sein Programm vom Sender Breslau übernimmt. Naujocks: "Dann haben wir uns heiß gesucht, damit wir die Sendung durchbekamen." Der Rundfunkspezialist des Kommandos findet ein "Gewittermikrophon" im Geräteschrank ... Mit diesem Mikrophonanschluss kann die Sendeleitung mitteilen, dass eine Sendung - etwa bei Gewitter - gestört ist.
(...)
"Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand ... Die Stunde der Freiheit ist gekommen!" Die vorbereitete Rede wird verlesen. Sie dauert knapp vier Minuten. Die Sendung endet mit dem Aufruf: "Hoch lebe Polen!"

August '39, S. 166

Die propagandistische Auswertung sollte unmittelbar nach dem fingierten Überfall beginnen. Eilig mit Blitzlicht aufgenommene Fotos des Toten wurden nach Berlin geflogen, doch die Aufnahmen entsprachen nicht Heydrichs Vorstellungen. Deshalb wurden noch in derselben Nacht zwei weitere Tote aus dem KZ Sachsenhausen herbeigeschafft und im Schaltraum des Senders zurechtgelegt (vgl. August '39, S. 167)

Inszenierte Vorfälle wie dieser trugen zur Zuspitzung der Situation bei, bis Hitler verkünden konnte:

"Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!"

Adolf Hitler am 1.9.1939
in einer für 10 Uhr angesetzten Reichstagssitzung
zit. n. August '39, S. 179

Anmerkung:

  1. vgl. auch Benz u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus S. 491
    Naujocks wird hier irrtümlich als "SS-Standartenführer" bezeichnet; er hat zu diesem Zeitpunkt jedoch den Rang eines Sturmbannführers bekleidet. Im Register auf S. 866 wird der richtige Rang genannt. Ob er von fünf oder sechs SS-Leuten begleitet wurde, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Siehe auch:

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